Mittwoch, 9. Januar 2013

Monatsrückblick September - Dezember 2012

ups... gerade habe ich gesehen, dass ich schon seit der Sache in Argentinien nichts mehr geschrieben habe.
Nicht einmal aus Neuseeland (ja, ich habe es tatsächlich noch dorthin geschafft!)

Meine Familie und engsten Freunde wissen natürlich warum, aber ein kurzer Rückblick erscheint mir nun doch angebracht, jetzt wo sich die Wogen geglättet haben.
Tatsächlich habe ich noch nicht einmal mein altmodisches Tagebuch weitergeführt - hoffentlich bringe ich alles zusammen.

Nach meinem Zusammenbruch am Flughafen verbrachte ich das Wochenende in Buenos Aires, weil der nächste Flug nach Neuseeland erst wieder am Montag abheben würde. Die nette Stewardess, die mich auch schon im Krankenzimmer betreut hatte, versicherte mir, es gäbe keine Probleme einen Ersatzflug zu bekommen.
Denkste.
Das erste was ich am Montagmorgen hörte nachdem der Schalter endlich öffnete, war ein "Nein" mit mindestens zehn Ausrufezeichen. Jedenfalls kam es mir so vor. Zuvor hatte ich mir wirklich keine Sorgen darum gemacht - ja, nicht einmal die Organisation kontaktiert, über die ich das around-the-world-ticket gebucht hatte. Ob es Naivität war oder einfach Ausblendung, kann ich nicht sagen. Vermutlich beides. Ich weiß nur noch, dass ich keine Lust hatte darüber nachzudenken und mir die Konsequenzen gleichgültig waren. Ich betete nur darum, dass ich das Glück hätte, wieder von dem netten Mann eingecheckt zu werden, der mir schon am Freitag mit dem Transitvisum geholfen hatte. Das bereitete mir ehrliches Kopfzerbrechen.


Doch zunächst musste ich überhaupt an einen neuen Flug kommen. Damit, dass er mir verweigert werden würde, hatte ich nicht gerechnet. Bei solchen Komplikationen werde ich schnell etwas Schwarzmalerisch und sehe, wie sich unsichtbare Türen mit einem hallenden Knall schließen. Schauspielkunst würde ich es jedenfalls nicht nennen, wenn aus mir auf einmal die Hilflose wird und sich Tränen in meine Augen schleichen. Ich bin nunmal sensibel.
Aber es hat auch Vorteile. Denn meistens haben die Leute dann Mitleid und bemühen sich zumindest ihre Möglichkeiten auszuschöpfen. (Berechtigtes Mitleid, will ich hier noch einmal anfügen, denn diese Situationen machen mich tatsächlich fertig)
Also beschrieb ich der Dame am Schalter die nette Stewardess. Groß, hübsch, blonder Pferdeschwanz... und tatsächlich wusste sie, wen ich meinte. Ich musste nur ein wenig warten, bis ihre Schicht begann. Eine halbe Stunde verging unter Bangen und Hoffen meinerseits. Aber als sie dann tatsächlich kam, ging alles relativ schnell. Ich bekam meinen ersehnten Flug und konnte einchecken. Da mein Aufenthalt in Australien diesmal allerdings nur auf zwei Stunden begrenzt war, weil ich nicht über die Gold Coast zu fliegen brauchte, bekam ich auch kein Transitvisa. Obwohl ich fürs Bauchgefühl gern eins gehabt hätte.



Der Rest ist in meiner Erinnerung ein wenig verschwommen, weil ich Unangenehmes gern schnell vergesse. Beziehungsweise entscheidet mein Gehirn für mich, dass es das nicht abspeichern will. Jedenfalls folgten nach einem wunderschönen Flug über die schneebedeckten Anden und das Meer einige grauenvollen Stunden in Australien.
Anscheinend hatte man mein Ticket von Argentinien aus etwas schlampig gebucht und auch nicht bestätigen lassen. Ich war nicht auf der Passagierliste für den Weiterflug nach Neuseeland und musste in Sydney wohl oder übel auschecken. Auch mein Gepäck wurde dort ausgeworfen und es kostete mich allein eine Stunde diesen Prozess zu durchlaufen und meinen Rucksack zu finden. Und das ohne Transitvisa. Von da an schleppte ich mich wie ein Bettler von Schalter zu Schalter und wurde jedesmal woanders hingeschickt. Bis mir schließlich eine Telefonnummer ausgehändigt wurde und es hieß, ich müsse die Airline direkt kontaktieren.
Also tauschte ich meine letzten Geldbestände aus Chile gegen Australische Münzen und versuchte mit meinem schlechten Spanisch irgendjemand telefonisch zu erreichen, der mir weiterhelfen konnte. Nur um gesagt zu bekommen, ich müsse das am Flughafenschalter tun. Und wieder irrte ich umher - inzwischen aufgrund der Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit wieder den Tränen nahe.
Bis das Häuflein Elend in aller Verzweiflung ein zweites Mal zum Schalter der Argentinischen Airline kroch, mit der ich gekommen war. Und dort erbarmte sich endlich eine gutherzige Stewardess meiner und tätigte den lästigen Anruf nach Buenos Aires, erfuhr von der Fehlbuchung und korrigierte sie auf der Stelle... Und schon befand ich mich, noch immer ungläubig und kuhäugig, auf dem Weg zum Gate. So schnell kann aus Hölle Himmel werden. Ich bin immer wieder erstaunt wie schmal der Grat teilweise ist.

In Auckland kam ich irgendwann nach Mitternacht des 5. Septembers an. In ziemlich zerschlagenem seelischen Zustand, wie man sich denken kann. Also gönnte ich mir einen Shuttlebus und lies mich zu dem nächstbesten Backpacker-Hotel kutschieren. Es war natürlich absolut überteuert, aber das war mir in dem Moment wirklich egal. Also buchte ich für eine Woche ein Bett in einem 8-Personen-Raum. Gemischt. Mit Fenster. (Ja, es gab tatsächlich auch Zimmer ohne Fenster, die waren billiger, aber ich war noch geistesgegenwärtig genug, um mir die Uhrzeit - oder besser Unzeit - zu vergegenwärtigen und zu bedenken, dass alle anderen in meinem Zimmer schon lange schlafen würden. Bei einem Zimmer ohne Fenster würde ich Licht machen müssen, um das Bett zu finden und ich bin eine rücksichtsvolle Reisende.) Ich fand ein freies Bett, machte mir weder die Mühe es zu beziehen, noch Zähne zu putzen oder mich zu waschen, ließ mich einfach in die herrliche Weichheit plumpsen und schlief sofort ein.

Die folgenden Tage verbrachte ich äußerst effektiv. Ich besorgte mir eine Handykarte, ein Konto und sah mich nach einer billigeren Bleibe um, was sich als recht schwierig herausstellte. Freies Internet gab es glücklicherweise in der Bücherei ein paar Straßen weiter. Dort hielt ich mich die meiste Zeit auf. Ich brauchte so schnell wie möglich einen Job und durchforstete die schwarzen Bretter im Internet. Auch das war schwieriger als gedacht. Ich war der Meinung, da Neuseeland ein wahres Backpackerparadies ist, würden einem die Jobs nur so nachgeschmissen werden. Falsch. Da es ein Backpackerparadies ist, ist es leider voll von Backpackern, die alle Arbeit suchen.
Immerhin fand ich nach etwa einer Woche ein sehr günstiges Gasthaus, dessen Namen ich hier nicht erwähnen will, weil es "unter der Hand" läuft. Dort traf ich David, den Vermieter. Eine Seele von Mensch. Und obwohl er an Multiple Sklerose leidet und mit knapp fünfzig kaum noch gehen kann, war er stets freundlich und zuvorkommend.
Einige Tage und viele nette Bekanntschaften später hatte ich auch mit dem Job Erfolg und fand Arbeit auf einer Kuhfarm in der Nähe von Christchurch (auf der Südinsel). Ich würde dort sogar Motorrad fahren lernen, weil man das zur Überbrückung der großen Entfernungen von Weide zu Weide braucht. Ich war so aufgeregt. Jetzt konnte ich endlich auch meine IRD (die Steuernummer) beantragen.

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Es ist der 12. September. Und es soll alles anders kommen als geplant.

Eine der vier Chinesinnen, mit denen ich mir das Zimmer teile, hat die gleiche Intension wie ich und so machen wir uns gemeinsam auf den Weg zur nächsten Post.
Wir stehen in der Schlange als es passiert. Ich selbst bekomme nichts mit. In einem Moment stehe ich noch dort und sehe meiner Freundin über die Schulter, als sie das Formular ausfüllt, im nächsten liege ich auf dem Boden, zugedeckt mit einer karierten Wolldecke. Verwirrt setze ich mich auf und betrachte die Decke. Eine Frau kommt auf mich zu. Dann nichts mehr.

Das nächste woran ich mich zu erinnern meine, ist Bewegung. Ich liege in einem Wagen und bekomme am Rande mit, dass wir wohl vor dem Gasthaus halten und meinen Rucksack einladen. Verwunderung. Dann wieder ein Schnitt.
Eine heller Raum, eine Liege. Krankenhausgeruch. Ich schlage die Augen auf und sehe die kleine Chinesin. Sie sitzt auf einem Stuhl mir gegenüber und sieht verstört aus. Ich setze mich auf, diesmal bleibe ich in der Gegenwart. Ich erfahre was passiert ist. Eine Reihe von epileptischen Anfällen hat mich überrollt. Was der Grund ist, weiß keiner. Sie vermuten Stress und Schlafmangel. In einer Post? Nach über einer Woche Quasi-Urlaub? Na, da bin ich aber Schlimmeres gewohnt.
Der Arzt kommt ins Zimmer und drückt mir die Preisliste des Krankenhauses in die Hand. Ich lese die oberste Zeile mit dem geringsten Betrag. "Clinical Assessment - Treatment under 3 hours: 409,40 NZ$". Ich weiß das so genau, weil ich die Liste noch besitze.
Mein einziger Gedanke ist, das ich mir das gerade noch leisten könnte und bitte den Arzt, der schon im Begriff ist zu gehen, doch zu versuchen, die Behandlung unter 3 Stunden zu halten. Er verspricht es und geht.

Dann schicke ich die arme Chinesin nach Hause. Ich habe leider ihren Namen vergessen. Wie so vieles, was in der Zeit passiert ist. Es ist wie ausradiert. Hinzu kommt, dass ich noch nie gut im Merken von Namen war. Sie geht - dann wieder nichts.

Wieder wache ich auf. Das Einzige woran ich mich immer ganz klar erinnere ist das Aufwachen.
Ich liege in einem freundlichem Krankenhauszimmer in einem Bett mit türkiser Bettwäsche. Sehr hübsch - ein bisschen wie in "Scrubs - die Anfänger", dieser Fernsehserie. Meine Haare sind hochgebunden und mein Kopf mit etwas Weichem bedeckt. Bei genauerem Erfühlen bemerke ich, dass es wohl mal ein Verband war, nun aber seine ursprüngliche Funktion nicht mehr zuverlässig erfüllt, sondern wie ein Häubchen auf meinem Haar sitzt. Ich sehe sicher albern aus, lasse den Bandagenhaufen aber dort, wo er ist. Die Kopfhaut pulsiert und mein Kopfkissen hat einen großen, dunklen Fleck. So langsam ahne ich, was passiert ist.
Eine Schwester kommt und bestätigt meine Befürchtungen. Ich hatte einen vierten Anfall und bin von der Liege auf den Boden gefallen. Die Folge: Eine großflächige Platzwunde.
Immerhin werde ich noch von dem Bandagenhäubchen befreit, bevor sie wieder geht. Ich fühle die Wunde. Sie wird mit ca. 10 Tackernadeln zusammengehalten. Gott sei dank war ich bewusstlos, als das gemacht wurde.
Irgendwann zwischen Wachen und Dämmern werde ich in einen Rollstuhl gesetzt und zum MRT-Raum gebracht, wo in der Röhre Aufnahmen von meinem Gehirn gemacht werden. Zurück in meinem Zimmer dämmere ich weiter vor mich hin. Ein angenehmer Zustand. Ich könnte ewig hier liegen.

Nachts werde ich dann von zwei Ärzten geweckt. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Die Ärzte sagen etwas von einem Gehirntumor und dass ich auf die Operationsliste gesetzt werde. Ich höre mit halbem Ohr zu, aber mein Körper schreit noch immer nach Schlaf. Der Tumor kann auch noch warten, jetzt wo er schonmal da ist.
Es ist nicht so, dass ich besonders abgebrüht wäre oder so, aber es hat mich in dem Moment einfach nicht interessiert.

Als ich wieder aufwache weiß ich, dass der 13. September ist. Warum? Keine Ahnung. Und obwohl ich es sonst nicht so mit Geburtstagen habe, weiß ich genau, dass mein Freund heute 31 wird. Ich muss ihm gratulieren. Ich brauche Internet. Und, ach ja, die Reisekrankenversicherung sollte ich vielleicht auch so langsam mal informieren... 
Ein netter Pfleger fährt mich in einem Rollstuhl zu einem Kiosk, wo zwischen den Regalen ein Computer steht. Der Pfleger blättert in einer Zeitschrift, während ich meinem Freund und meiner Familie schreibe. Oder haben ich meinen Vater angerufen? Ich weiß es nicht mehr.
Dann fülle ich das Formular für die Versicherung aus. Eine Schwester scannt es für mich und verschickt es per Mail. Wie gut, dass sie meinen Rucksack mitgenommen haben, sonst hätte ich meine ganzen Papiere nicht zur Hand gehabt.

Ich bekomme auch meine Sachen zurück, die ich am Tag der Einlieferung getragen habe. Ein blutdurchtränktes Kleidebündel. Mein T-Shirt und die Unterwäsche sind zerschnitten und fliegen gleich in den Müll.
Zum ersten Mal gehe ich ins Bad und sehe in den Spiegel. Meine dunkelblonden Haare haben die Farbe von Tomatensoße. Sehr hübsch. Die Schwester fragt, ob ich sie waschen will... blöde Frage.

Die Versicherung kontaktiert mich. Sie wollen mich zurück nach Deutschland transportieren, damit ich die OP dort in meinem "sozialen Umfeld" machen lassen kann, wie sie es nennen. Mir ist es eigentlich egal, wo es gemacht wird, aber meiner Familie bestimmt nicht. Daher stimme ich dem Krankenrücktransport zu. Wird ja hoffentlich nicht allzu lange dauern, bis ich wieder zurückkommen kann... Wenn ich gewusst hätte.

Am 14.09. werde ich entlassen. "Auf die Straße gesetzt" trifft es aber eher. Ehe ich mich versehe, stehe ich vor den Toren und suche nach einem Taxi, das mich zum Gasthaus zurückfährt.

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Die letzten Tage vor meinem Rückflug am 24. vergingen zum Teil schleppend und gleichzeitig wie im Flug. Ich habe Antiepileptika verschrieben bekommen und versuchte noch ein paar letzte Ausflüge zu machen. In meiner Herberge lernte ich Lone und Peter kennen - zwei irre liebe Menschen, die sich sehr um mich kümmerten und ablenkten. Mit ihnen machte ich bereits einen Tag nach der Entlassung aus dem Krankenhaus einen wunderschönen Tagestrip bei großartigem Wetter nach Weiheke Island nur um zu spüren, dass ich doch noch sehr schwach war. Bei den kleinsten Hügeln gerate ich außer Atem und muss mich ein paar Minuten setzen, während die beiden im Umkreis herumstreunen und Fotos schießen.
Nachdem ich wieder Vertrauen in meinen Körper habe, wage ich auch Alleingänge. Einmal nach Tiritiri Island (ein Vogelschutzreservat) und - mein langgehegter Traum - eine whale watching tour. Statistiken versprachen die Chance von 90% bei Delfinen und 70% bei Walen. Ich sah beides. Zwei Delfinschwärme und sechs Wale beim Jagen. Dazwischen ein Haufen Seevögel. Toll!


Es gab auch Enttäuschungen. Zum Beispiel den Anruf bei der Botschaft mit der Bitte um Verlängerung meines Visas. Die Dame am anderen Ende der Leitung sagte nur kaltherzig, das nichts zu machen wäre. In dem Moment war ich ziemlich am Boden zerstört. Die schönsten Sommermonate würden mir durch die Lappen gehen. Die besten Chancen auf Arbeit...
Ja die Arbeit - das war der zweite Punkt, der meine Stimmung trübte. Den hart erkämpften Job auf der Kuhfarm musste ich leider auch absagen.

Am 22.09. kam der Arzt in Auckland an, der mich nach Deutschland zurückbegleiten würde. Und zwei Tage später waren wir schon fort.
Ich muss sagen. Allzu schlimm war es nicht. Klar schmerzte der unerwartete Abbruch meiner Reise, aber wir flogen in der Business Class und das machte es erträglicher. Gut war auch, dass mein Arzt bereits Erfahrung in dieser Art zu reisen hatte und mir alles zeigte, was es zu genießen gab. So konnte ich den Luxus voll auskosten!

In Deutschland angekommen, verbrachte ich nochmal ein paar Tage im Krankenhaus, aber dort wurde mir nur gesagt, es sei kein bösartiger Tumor und ich könne eigentlich gleich wieder nach Neuseeland zurück. Will man sowas hören? Ich entschied mich also dafür, weitere Meinungen einzuholen und heute, drei Monate später sitze ich noch immer in Stuttgart. Zwischenzeitlich habe ich auch wieder gearbeitet und mir das Geld für den Rückflug verdient. Und jetzt ist auch klar, dass ich doch am Besten fahre, wenn ich den Tumor entfernen lasse, weil ich sonst zeitlebens Antieplieptika nehmen und halbjährlich zum Kontroll-MRT erscheinen muss. Nee danke!
Morgen findet endlich meine Operation statt und die Ärzte meinen, dass ich nach etwa vier bis sechs Wochen wieder reisefähig sein werde, wenn alles gut geht.

Und heute meldete sich auch noch meine Reiseversicherung mit der guten Nachricht, mein Vertrag sei noch aktiv, weil ich vergessen hatte ihn zu kündigen - bis zum 01.10.2014! :)
Eigentlich steht mir nun nichts mehr im Wege. Sobald die OP vorbei und positiv verlaufen ist, buche ich meinen Rückflug über Korea nach Neuseeland.

Bis die Tage ^^
Kiri